Reizdarmsyndrom

Mikronährstofftherapie

Definition

Das Reizdarmsyndrom (kurz: RDS, englisch: Irritable Bowel Syndrome/IBS) bezeichnet eine häufige chronische Erkrankung des Gastrointestinaltraktes (GIT), welche durch Bauchschmerzen und Veränderungen in den Darmgewohnheiten charakterisiert ist, obwohl keine bekannte organische Ursache vorliegt. Die Diagnostik eines RDS erfolgt nach einem symptombasierten Klassifizierungssystem, den Rom-Kriterien, mit den aktuellsten Leitlinien, den Rom IV.  Die Mehrheit der Betroffenen mit RDS leidet nicht nur an Magen-Darm-Beschwerden, sondern erlebt auch psychische Störungen, wie Depressionen oder Angst und dadurch eine Verminderung der Lebensqualität. Obwohl in den letzten Jahren neue Erkenntnisse erlangt wurden, um die Pathophysiologie des RDS zu verstehen, sind die exakten Mechanismen zur Symptomentwicklung noch nicht zur Gänze geklärt. In der Ätiologie des RDS konnten aber physiologische und psychologische Variablen identifiziert werden, wobei die Darm-Hirn-Achse eine entscheidende Rolle bei Patienten mit RDS zu spielen scheint. Trotz zahlreicher Untersuchungen zum besseren Verständnis der Pathophysiologie von RDS bleiben die therapeutischen Interventionen symptombasiert. Obwohl das RDS nicht mit einer erhöhten Sterblichkeit verbunden ist, stellt die Erkrankung dennoch eine erhebliche Belastung für den Betroffenen und die Gesellschaft dar, als Resultat von direkten medizinischen Kosten, aber auch verminderter Lebensqualität.
 

Ursachen

Das RDS wird als multifaktorielle Störung angesehen mit Schwerpunkt auf gastrointestinaler Dysmotilität, Inflammation, viszeraler Hypersensitivität und veränderten Darmmikrobiota, welche alle zur Symptomatik beitragen. Da Stress schon länger als Mechanismus in der Entwicklung des RDS identifiziert wurde, sind die wichtigsten Komponenten des Stressreaktionssystems, das autonome Nervensystem (ANS) und die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (englisch: hypothalamus-pituitary-adrenocortical, HPA), oftmals Gegenstand zahlreicher Untersuchungen in Bezug auf das RDS. Neben genetischer Veranlagung, Umweltfaktoren sowie psychosoziale Stressoren scheinen auch physiologische und psychologische Variablen eine Rolle in der Ätiologie und Aufrechterhaltung der RDS-Symptomatik zu spielen. In einer Untersuchung der Risikofaktoren für die Entwicklung eines RDS beim militärischen Personal fanden Riddle et al. heraus, dass das Risiko in Fällen von infektiöser Gastroenteritis und auch bei Betroffenen bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), erhöhter Anzahl von Stressfaktoren und berichteter Angst und Depression erhöht war. Diese Ergebnisse veranschaulichen die Interdependenz zwischen dem Gehirn und dem Darm bei einem RDS, eine Verbindung, die allgemein als die Darm-Hirn-Achse bekannt ist. Bei Patienten mit RDS wurde festgestellt, dass sie Störungen und Unterschiede in den zentralen Verarbeitungsmechanismen der Darm-Hirn-Achse im Vergleich zu gesunden Kontrollen sowie Unterschiede in der Gehirnstruktur, der Konnektivität und der funktionellen Reaktionsfähigkeit aufweisen. Trotz großer Fortschritte beim Verständnis der Pathophysiologie des RDS sind solche Entdeckungen noch nicht vollständig auf den klinischen Bereich übertragen. Die Patientendiagnose bleibt in erster Linie eine Frage des Ausschlusses, und Behandlungsmaßnahmen bleiben symptomgetrieben.
 

Symptomatik & Diagnostik
Die Diagnose eines RDS wird durch das Vorhandensein bestimmter Symptome in Abwesenheit einer organischen Krankheit gestellt. Dabei wird das RDS nach den aktuellen Rom-IV-Kriterien der American Gastroenterological Association aus dem Jahre 2016 als funktionelle Darmerkrankung eingestuft, welche seit mehr als sechs Monaten besteht und mindestens einmal pro Woche während der letzten drei Monate auftritt. Die diagnostischen Kriterien umfassen dabei abdominelle Schmerzen, welche mit folgenden Faktoren in Verbindung gebracht werden: Stuhlentleerung, Veränderung der Stuhlkonsistenz und der Stuhlhäufigkeit. Die Rom-IV-Kriterien teilen RDS-Patienten basierend auf ihren vorherrschenden Stuhlmustern ein: Verstopfung (RDS-O), Durchfall (RDS-D), gemischtes Stuhlverhalten (RDS-M) oder wechselndes Stuhlverhalten (RDS-A). Da es sich beim RDS um eine Ausschlussdiagnose handelt, müssen andere Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik wie u.a. Zöliakie, mikroskopische Colitis, chronischentzündliche Darmerkrankungen, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Gallensäuremalabsorption und Darmkrebs beim Betroffenen durch entsprechende Untersuchungen ausgeschlossen werden. Des Weiteren stehen verschiedene Laboruntersuchungen zur Verfügung, welche die Diagnose bei Verdacht auf ein RDS durch verschiedene Parameter unterstützen können.
 
Therapie
Beim RDS handelt es sich um eine multifaktorielle Erkrankung mit ähnlich vielfältigen Behandlungsansätzen. Das pharmakologische Management orientiert sich je nach Subtyp des RDS an der vorherrschenden Darmsymptomatik des Patienten mit dementsprechender Medikation zur Linderung der Bauchschmerzen. Daneben stehen noch nicht pharmakologische Interventionen, wie z.B. Ernährungsumstellungen, Bewegung, und andere ergänzende und alternative Ansätze als therapeutische Maßnahmen zur Verfügung. Ein besonderer Fokus der klinischen Forschung liegt auf der Verbesserung der RDS-Symptomatik durch Ernährungsumstellung. Nicht nur die Nahrungsaufnahme selbst kann zur Entstehung von Symptomen durch Stimulation verschiedener Rezeptoren beitragen, bei Patienten mit RDS treten auch häufiger Unverträglichkeiten gegenüber Nahrungsmitteln oder Nahrungsbestandteilen auf, darunter Gluten, Weizen, Laktose, fermentierbare Oligosaccharide, Disaccharide, Monosaccharide und Polyole (kurz: FODMAPs) sowie Fruktose. In einer aktuellen Untersuchung von Patienten mit RDS-D führte eine sechswöchige glutenfreie Diät zu signifikant verbesserten Werten der Symptomstärke von Angst, Depression, Müdigkeit und Lebensqualität. Die Low-FODMAP-Diät wurde ebenfalls bei Patienten mit RDS untersucht und führte zu einer Verbesserung der Bauchsymptome bei einigen Patienten. Außerdem wurde in einer systematischen Überprüfung und Metaanalyse von 14 Untersuchungen festgestellt, dass die Verabreichung von einer löslichen Ballaststoffergänzung positive Auswirkungen auf die Symptomatik bei Patienten mit RDS hat. Parallel zum Fokus auf die diätischen Veränderungen gibt es genauso Bemühungen, die Darmmikrobiota zu beeinflussen, da diese eine wichtige Rolle bei den gastrointestinalen Prozessen und der Gesundheit spielen.  Einige Studien berichteten über eine positive Wirkung von Probiotika bei der Behandlung von RDS-Schmerzen, abdominaler Dehnung und Blähungen. Des Weiteren scheint auch körperliche Aktivität einen Einfluss auf den Schweregrad der RDS-Symptomatik zu haben. So fanden Johannesson et al. (2011) in einer randomisierten Kontrollstudie mit 102 Patienten heraus, dass eine zwölf-wöchige Intervention mit mäßig erhöhter körperlicher Aktivität Symptome wie Depressionen, Angst und Müdigkeit verringern und einige Aspekte der Lebensqualität erhöhen kann. Eine kürzlich durchgeführte systematische Überprüfung von sechs randomisierten kontrollierten Studien zeigte, dass Yoga bei gastrointestinalen Symptomen und Ängsten hilfreich ist und die Lebensqualität von Patienten mit RDS verbessert. Des Weiteren können auch Behandlungsmöglichkeiten aus der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) wie Akupunktur (Einsatz von Nadeln), Elektroakupunktur (EA) und Moxibustion (Einsatz von Wärme) einen positiven Einfluss auf Patienten mit einem RDS ausüben.
 
Relevante Mikronährstoffe
Probiotika und Präbiotika 

Einen neuen Ansatz zur Therapiemöglichkeit eines Reizdarmsyndroms umfasst die Optimierung der Darmflora durch Probiotika. Der Einsatz einer sinnvollen Kombination von probiotischen Darmbakterien-Stämmen (Probiotika) in ausreichend hoher Konzentration in Kombination mit unverdaulichen Pflanzenfasern (Präbiotika) zeigt gute Ergebnisse in der Erhaltung der Darmgesundheit. Während Probiotika die Fremdbesiedlung der Darmschleimhaut mit pathogenen Keimen reduzieren und deren Wachstum einschränken können, dienen Präbiotika den Probiotika als wertvolles Futter.  Eine klinische Studie aus dem Jahr 2021 hat in diesem Zusammenhang die Effektivität von Probiotika bei 51 Patienten mit diagnostiziertem Reizdarmsyndrom dokumentieren können. Es zeigte sich bei nach achtwöchiger Anwendung bei den Betroffenen eine Reduktion der Symptomatik, eine Steigerung der Lebensqualität, sowie eine Verbesserung der Schmerzen. 
 

Andere relevante Mikronährstoffe

Die in Curcuma (Curcuma longa) enthaltenen Curcuminoide weisen antiinflammatorische, antioxidative und immunmodulatorische Eigenschaften auf. Der antiinflammatorische Effekt der Curcuminoide wird durch eine Hemmung der Cyclooxygenase-2 (COX-2) und der Lipoxygenase (LOX) sowie durch eine Normalisierung der NO-Synthase (iNOS) erreicht. Das Ungleichgewicht in der Aktivierung von COX-2 und/oder iNOS scheint im Zusammenhang mit Tumorerkrankungen und Entzündungsprozessen zu stehen.

Akute Entzündungsvorgänge weisen oft einen hohen Gehalt an entzündungsfördernden und immunsuppressiven Eicosanoiden auf, die aus der Arachidonsäure gebildet werden. Durch eine erhöhte Zufuhr der Omega-3-Fettsäure Eicosapentaensäure (EPA) wird dieser Umwandlungsprozess gehemmt - es entstehen vermehrt antiinflammatorische Eicosanoide.

Weihrauchextrakt (Boswellia serrata) enthält Boswelliasäuren, welche durch eine Hemmung der Leukotrien-B-Aktivität direkten entzündungshemmenden Einfluss auf die betroffenen Zellen haben.

Grünteeextrakt kann durch seine adstringierende Wirkung die Permeabilität der Darmmukosa für Antigene verringern und das Eindringen pathogener Keime verhindern. Das enthaltene Epigallocatechin-3-gallat ist ein Elektronendonator und agiert damit als ein wirkungsvolles Antioxidans im Entzündungsprozess. Diese Effekte konnten sowohl im Dünndarm als auch im Dickdarm nachgewiesen werden.

Die echte Kamille (Matricaria chamomilla) zeichnet sich durch ihren hohen Anteil an ätherischen Ölen, Flavonoiden, Cumarinen und Schleimstoffen aus und findet seine Anwendung bei entzündlichen Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts. Kamillenextrakt besitzt antiphlogistische und granulationsfördernde Eigenschaften, die den Heilungsprozess bei entzündlichen Veränderungen der Schleimhäute des Verdauungstrakts unterstützen. Für den bekannten Kamillentee werden sowohl Blüten, Kraut als auch Samen verwendet. Vor allem in romanischen Ländern wird Kamillentee zum Schlafengehen und zur allgemeinen Beruhigung getrunken.

L-Glutamin spielt eine zentrale Rolle beim Aufbau und bei der Erhaltung von Zellsystemen. Zellen mit hohen Teilungsraten, wie die Zellen des Immunsystems und die Mukosazellen des Dünndarms, sind auf eine ausreichende Versorgung mit der Aminosäure Glutamin angewiesen. Außerdem ist L-Glutamin als Präkursor der Glutathionbiosynthese eine zentrale Komponente zur Erhaltung des antioxidativen Status.

Zink ist eng mit Abwehr- und Heilungsprozessen verbunden und fördert die Wiederherstellung einer gesunden Darmschleimhaut, wodurch eine Ergänzung mit Zink eine wichtige Rolle in der Therapie einer Vielzahl von Magen-Darm-Erkrankungen spielt. Des Weiteren entstehen aufgrund von entzündlichen Veränderungen der Darmschleimhaut oftmals Verluste an Vitaminen und Spurenelementen, die zu einer schlechten Versorgung mit Zink führen können. Sowohl Zink als auch Vitamin C sind eng mit Immun- und Heilungsprozessen assoziiiert und fördern die Wiederherstellung einer gesunden Darmmukosa.

Ein Reizdarmsyndrom tritt häufig in Kombination mit erhöhten körperlichen oder seelischen Belastungssituationen auf. Langfristig hohe Stresshormonspiegel bewirken eine Erhöhung des Metabolismus und eine Förderung von Entzündungsprozessen, welche zu einer Beeinträchtigung der Magen-Darm-Funktionen und malabsorptionsbedingten Mikronährstoffverlusten führen können. Eine erhöhte Zufuhr aller Vitamine des B-Komplexes kann bei stressbedingter Symptomatik therapeutisch wirken.

Psyllium (Flohsamen) enthält Schleimstoffe (Galakturonsäure, Xylose, Ramnose und Arabinose) mit einem hohen Wasserbindevermögen. Durch Quellen in Wasser können sie ihr Volumen um das 10- bis 20-fache erhöhen. Diese Quellfähigkeit macht den Stuhl weicher und voluminöser. Die Volumenszunahme stimuliert durch den entstehenden Druck auf die Darmwand die Peristaltik und reguliert dadurch die Darmentleerung. Bei Durchfall hingegen verlängert sich die Transitzeit durch die Bindung von Wasser - die Durchfälle werden gelindert. In Studien wurde gezeigt, dass Flohsamen bei irritablem Colon gegenüber Weizenkleie eine signifikant bessere Wirkung erzielt. Im therapeutischen Einsatz ist Psyllium als Ballaststoffquelle deshalb Kleiepräparaten überlegen.

Eine der häufigsten Ursachen von Verdauungsproblemen im Sinne einer unzureichenden Aufspaltung der Nahrungsbestandteile (Maldigestion) ist ein Funktionsverlust der Bauchspeicheldrüse (Pankreasinsuffizienz). Die Beschwerden, die dadurch entstehen, sprechen gut auf eine Gabe von Verdauungsenzymen an, da dadurch die Eiweiß-, Kohlenhydrat- und Fettverdauung unterstützt und das Verdauungsgeschehen verbessert wird. Mögliche Enzyme zur Unterstützung der Verdauungsleistung sind u.a. Pankreasenzyme (Pankreatin) sowie pflanzliche Enzyme aus Ananas (Bromelain) und Papaya (Papain) sowie die Milchzucker abbauende Laktase.

Aufgrund der entzündlichen Veränderungen der Darmmukosa entstehen häufig Resorptionsstörungen, die zu hohen gastroenteralen Verlusten an Elektrolyten, Vitaminen und Spurenelementen führen und einen suboptimalen Vitaminstatus entstehen lassen. Zusätzlich können Wechselwirkungen mit eingesetzten Medikamenten ein Ungleichgewicht in der Nährstoffbilanz herbeiführen. Eine gezielte Substitution der betroffenen Mikronährstoffe wie Vitamin C, Eisen und Vitamin D ist deshalb sinnvoll.

Empfohlene Dosierung

Mikronährstoff Empfohlene Tagesdosis
 Curcuma 500 - 1500 mg
 Omega-3-Fettsäuren  EPA (1 - 3 g)
 Weihrauch 1000 - 4000 mg
 Grüner Tee  300 - 400 mg
 Kamille  200 - 300 mg
 L-Glutamin  1000 mg
 Zink  10 - 30 mg
 Vitamin C  1 - 3 g
 Vitamin D 1000 - 2000 I.E.
 Vitamin B6  100 - 300 mg
 Vitamin B12  100 - 400 µg
 Flohsamen (Psyllium)  3 - 4 g
 Probiotika 800 - 10000 mg (10 Milliarden CFU)1
Verdauungsenzyme und weiteres Amylase: >14000 U/d
Protease: >3500 U/d
Lactase: >2000 U/d
Lipase: 500 U/d
Cellulase: >100 U/d

Laboruntersuchung

Mögliche Laboruntersuchung (Labor GANZIMMUN) Detailinformation
Gesundheitscheck Darm Nachweis einer gestörten intestinalen Mikroflora durch Messung von Verdauungsrückständen, α-1-Antitrypsin, Calprotectin, Gallensäuren, Pankreaselastase, sekretorischem IgA und Zonulin sowie Ermittlung des Florastatus. Reizdarm 
H2-Atemtest Nicht invasive Untersuchung der Ausatemluft auf Wasserstoff (H2) zur Diagnose der intestinalen Verträglichkeit verschiedener Kohlenhydrate sowie Auskunft über den mikrobiellen Status des Dünndarms

Kohlenhydratintoleranzen (Laktose, Fruktose, Sorbit, Sucrase) / Overgrowth-Syndrom / Reizdarm-Syndrom

LCT-Gen Gentest auf hereditäre Laktoseintoleranz (Dimorphismus des Laktasegens LCT) zum Aufzeigen einer potentiellen genetischen Veranlagung Laktoseintoleranz
ALDOB-Gen Gentest auf Fruktoseintoleranz zum Aufzeigen einer potentiellen genetischen Veranlagung Fruktoseintoleranz
Komplettprofil Darmgesundheit Analyse von Verdauungsrückständen, Pankreaselastase, Gallensäuren, Beta-Glukuronidase, kurzkettigen Fettsäuren, EPX im Stuhl, Histamin im Stuhl, Beta-Defensin 2, Lysozym, sekretorischem IgA, Calprotectin, Lactoferrin, Alpha-1-Antitrypsin, Hämoglobin, Zonulin und des intestinalen Mikrobioms. Reizdarm
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